Wenn Kinder spielen …

muss man mit Allem rechnen!

Das Laufbecken von unserem Dorfbach wird jeweils ein paar Tage vor Ostern, für eine Woche trocken gelegt. An diesen Tagen werden alle Wasserturbinen, der am Bach liegenden Fabriken gewartet. Am Samstag vor Ostern wird dann das Bachbett selber von den Fabrikarbeiter noch gründlich gesäubert, bevor das Wasser darin wieder fliessen darf. Am Karfreitag dürfen jeweils alle Quartierkinder ab sechs Jahren ins Bachbett steigen, um dort nach Gerümpel zu suchen. Die gefundene Ware wird dann beim Werkmeister abgegeben und man erhält dafür ein entsprechendes Trinkgeld.

Es ist Karfreitag. Endlich wird das Gittertor vom hohen Bachzaun geöffnet und die Einstiegstreppe wird an die Bachmauer montiert. Dieses Jahr dürfen auch Roberto* und ich zum ersten Mal, ins Bachbett steigen. Die Wassertümpel fühlen sich kalt und glitschig an. Nichts desto trotz stampfen wir mit unseren Stiefeln feste drauf los. Es gluckert und pantscht ganz schön. Die grösseren Kinder zeigen uns, in welchen Körbe wir die gefunden Sachen legen sollen. Dazu haben wir Zwei aber keine Lust. Uns interessiert es viel mehr, stinkiges und matschiges Algenmaterial an die Bachmauer zu schmeissen, damit es so richtig schön klatscht und spritzt. Schon bald sehen wir beide so matschig und grausig aus, wie die Mauer vor uns. Auf einmal fällt uns ein, dass man doch grössere Steine an einen Ort tragen könnte, um damit eine Burg zu bauen… Wir versuchen dies. Doch leider vermögen wir die dafür vorgesehenen Steinbrocken nur leicht anzuheben. Dafür entdecken wir darunter kleine Fische und Frösche… Roberto kommt auf die Idee, diese zu fangen. Tatsächlich erwischt er zuerst einen Frosch. Ich bekomme diesen zum Festhalten – und schon ist er wieder weg. Den nächsten Frosch halte ich deshalb mit beiden Händen. Roberto fängt noch einen für sich … Vorsichtig setzt jedes seinen Frosch auf einen Stein – und auf eins zwei drei – lassen wir sie los. Das ist ja ganz faszinierend, wie die springen … Solche lustigen Gesellen sollte man doch nach Hause nehmen, aber wie? Diese in unsere Hosentaschen zu stecken, ist uns nun doch zu gruselig.

Wir entdecken weiter oben eine rostige Büchse. Wiederum schnell unter einen Stein gegriffen und schwupp, Roberto hat einen kleinen Fisch in der Hand. Ich kreische, und er lässt ihn vor Schreck los. Der plumpst wieder zurück in den Wassertümpel. Beim nächsten Mal erfasst Roberto eine Kröte, uh wie grauselig. Trotzdem deponieren wir dieses braune Ding in unseren Behälter. Schwuppdiwupp – der Primus macht quak und schon sitzt auch der wieder im feuchten Bachbett. Wir lachen uns darüber halbkaputt und versuchen es noch ein Mal. Doch keiner der Frösche hält es lange in der Dose aus. Einen Deckel müsste man haben, doch woher? Flache Steine könnten diese Aufgabe ebenso gut erfüllen, oder?

Hoppalahopp! Ein Frosch ist in der Büchse. Schnell reiche ich Robert einen geeigneten Stein. Den legt er vorsichtig auf den richtig hübschen Frosch und es funktioniert. Der kann nicht mehr raus. So, noch einen Quaker für mich und wieder einen Stein drauf. Zur Sicherheit fangen wir noch einen dritten Frosch. Auf ihn setzen wir einen besonders grossen Steindeckel. Wir drücken diesen noch „vorsichtig fest“ nach unten. Das klappt ja bestens! So, und nun ab nach Hause damit!

„He Nona, se sei in cucina?“ – „Si, si! Ariva tute due!“ Die Nona fällt fast in Ohmacht, als sie uns zwei stark verschmutzten Kinder sieht. Sie beginnt zu zetern, ringt die Hände und täuscht uns ihre berühmte Ohnmacht vor. Wie immer, wenn Nona sehr laut und stark lamentiert (und auf italienisch ruft: „Ich falle in Ohmacht!“), ist dies ein Alarmzeichen für meine Mutter (wir wohnen der oberen Wohnung). Schnell ist sie bei uns in der Küche. Sie zieht uns kopfschüttelnd die Stiefel aus; und bringt uns lachend ins Waschhaus (wir hatten damals noch kein Badezimmer). Da meine Mutter angenommen hat, dass wir von der „Bachauslumpeten“ etwas dreckig nach Hause kommen werden, hat sie schon vorgängig viel Wasser im grossen Waschzuber erhitzt. Ein paar Kübel davon in die Badewanne und schon sitzen Roberto und ich gemeinsam im wunderschönsten Schaumbad. Da dürfen wir uns etwas einweichen lassen und mit dem Schaum spielen. Anschliessend schruppt uns meine Mutter sauber und richtet uns tip top wieder her. Mit einem Zuckerbrot und etwas Sirup im Magen, also bestens gestärkt und gut gelaunt, dürfen wir wieder nach draussen spielen gehen.

Da fällt uns die Froschbüchse ein! Wo ist die geblieben? Zack, natürlich bei Nona in der Küche! In Windeseile sausen wir in die Cucina; und tatsächlich auf dem Boden unter dem Tisch steht die Büchse. Roberto ergreift sie, geht zur Nona an den Herd: „Nona, schau! Wir haben hier etwas Schönes zum Spielen gefunden!“ Dabei hebt er den obersten Stein – Pflatsch der Frosch springt auf den Gasherd, dann direkt in die Gnoggipfanne. Die Nona verdreht kurz die Augen und fällt diesmal, nicht nur zum Schein, sondern richtig in Ohnmacht. Wir Kinder schreien um Hilfe. Meine Mutter ist schnell wieder zur Stelle. Sie bückt sich zu Nona runter. Die ist am Erwachen, schimpft und hyperventiliert: „Madonna mia, Madonna mia!“, sie bekreuzigt sich: „Roberto che stubito, che brutto! Madonna mia! Roberto e come un diavolo!“ Meine Mutter verteidigt Roberto, der habe doch nur um Hilfe gerufent!? Sie hilft der Nona auf einen Stuhl und nimmt die überschäumende Gnoggipfanne vom Herd. Da entdeckt sie den oben auf schwimmenden Frosch. Meine Mutter „gluckst“ nun ebenfalls und hält sich würgend die Hand vor den Mund. Unterdessen hat sich der zweite Frosch aus seiner Büchse befreit. Er sieht etwas zerquetscht aus und ein Bein fehlt! Jetzt bekommt meine Mutter ihrerseits einen Schreikrampf, öffnet das Fenster und ruft meinem Vater. Dieser kommt gemeinsam mit Robertos Vater angerannt. Die Zwei sehen erst nur den halb toten Frosch am Boden: „Was solch einen Aufstand wegen einem kaputten Frosch!?“ Robertos Vater sieht zur bleichen Nona, die nicht sicher weiss ob sie jetzt noch leben oder lieber sterben soll. Der italienische Papa kümmert sich liebevoll um seine Mutter und täschelt ihr etwas die Wangen: „He Mama, che cosa è?“ Mit einem Schwall von italienischen Sätzen erklärt sich die Nona und zeigt auf die Pfanne. In der Zwischenzeit hat natürlich auch mein Vater den Frosch im Gnoggisud entdeckt… Beide Väter drehen sich um, und halten die Hand vor ihren Mund. Also ich glaube, die haben sich nicht gewürgt wie meine Mutter, sondern die mussten sich das Lachen verbeissen… Beide versuchten dann etwas ernster drein zu blicken: „Disse una volta bambini? Was ist da los?“ Ich beginne zu weinen: „Wir wollten nur die Frösche der Nona zeigen!“ – Roberto nimmt die Büchse und zeigt sie den Erwachsenen. Mein Vater fischt daraus einen Stein und darunter liegt tatsächlich noch ein Frosch, ebenfalls zu dreiviertel bis neunundneunzig Prozent tot. „Jetzt sagt mal: Schternengopfritschtuz – was habt ihr euch dabei gedacht!?“ Unsere Väter verbeissen sich nicht mehr das Lachen, sie sind richtig zornig geworden. Meine Mutter hat sich bereits wieder gefasst und beschwichtigt: „Nostre Bambinis sind doch noch sooo klein. Die haben das sicher nicht mit Absicht gemacht!“ Wir „Kleinen“ schütteln bejahend unsere Köpfe! Bei der Nona entschuldigt sich meine Mutter tausend Mal: „Scusi, scusa, scusa! Mi dispiace Signora,! Bitte entschuldigen Sie. Wir bringen alles wieder in Ordnung!“ Auch wir Kinder entschuldigen uns (aber nur etwas weinerlich wegen der kaputten Fröschen).

Meine Mutter ist wieder in unserer obere Wohnung, um dort weiter zu haushalten und auf meinen kleineren Bruder acht zu geben. Mein Vater hat der Nona geholfen neue Gnoggis herzustellen (von diesem Tag an ist er ein richtiger Gnoggispezialist geworden, bis heute!). Robertos Vater hat die jämmerlichen Frösche wieder in die Büchse gelegt. Im Garten haben wir die armen übertoten Kraturen in eine Zeitung gepackt. Robertos Mutter lässt das Gärtnern sein und hat sofort noch bunte Bändel, zum Einwickeln, besorgt. Unter einem Baum haben wir zu Viert ein Loch gegraben und das schön verschnürte Paket darin feierlich abgelegt. Anschliessend steckten wir noch ein paar Gänseblümchen und ein Kreuz auf den Erdhaufen. Die Eltern von Roberto stifteten uns noch eine Kerze und feierlich haben wir sie angezündet und gemeinsam gebetet, erst auf italienisch und dann auf deutsch:

„Schutzengeli mein, hilf unseren lieben Fröschlein in den Himmel hinein! Amen!“ Robertos Mutter bekreuzigt erst das Grab dann noch uns bambini. Dann beauftragt Robertos Vater uns, die Rostbüchse zu reinigen und beim Werkmeister abzugeben, damit wir dafür noch das uns zustehende Trinkgeld erhalten!

Tatsächlich! Dafür haben wir einen ganzen Fünfräppler bekommen. Stolz haben wir diesen, am anderen Tag im Kiosk, für zwei Kaugummis eingetauscht. Beim kätschigen Kauen derselben haben wir  ganz versonnen an unsere himmlischen Frösche gedacht, und haben uns nochmals gegenseitig bekreuzigt und für immer und ewig geschworen:

„Ab sofort keine Frösche mehr in einem Gefäss einsperren!“

Später lernten Roberto und ich in der Oberstufe das wunderschöne Zitat von Schiller:

Das Spiel des Lebens sieht sich heiter an,

wenn man den sicheren Schatz im Herzen trägt!

* siehe zu Kinderjahre mit Roberto, auch meine älteren Beiträge von August und September 2006, wie „Mittagsschlaf im Dreifamilienhaus“, „Baby im Bauch“ und „Liebe, Heirat, Taufe“).

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