oder Anna und Dimitriy um 1902 …
ist der berühmten Erzählung von Anton Tschechow,
„Die Dame mit dem Hündchen“ nachempfunden.
Es war einmal ein Mann, der hiess Dimitriy. Er arbeitete als Beamter in Moskau. Er heiratete bereits in jungen Jahren eine Frau, die er eigentlich gar nicht liebte. Mit seinen Kindern wusste er nicht viel anzufangen, dafür um so mehr mit lebenslustigen Damen aus besseren Kreisen.
Auf einer Reise nach Jalta fiel Dimitriy eine Dame auf, die tagtäglich mit ihrem weissen Hündchen am Strand spazierte. Stets, wenn ihn der Jagdtrieb so richtig erfasste, versuchte er, so rasch als möglich, die Beute auf sich aufmerksam zu machen. So probierte er es auch mit dieser Dame. Diese Dame, mit dem Namen Anna, stammte aus bester Gesellschaft und war verheiratet. Dimitriy wagte diese liebliche Person in seinen Bann zu ziehen. Diese zeigte sie sich bei seinen Annäherungsversuchen zurückhaltend und sehr abweisend.
Bei der zweiten Begegnung zeigte Anna’s Hündchen Jurj reges Interesse an dem eleganten Dimitriy. Denn dieser zwirbelte seinen Spazierstock all zu spassig vor Jurj’s Nase auf und ab. Dem Vierbeiner gefiel dieses Spiel und er reckte sich aufgeregt schwänzelnd in die Höh‘; so dass er sich, zwar etwas wacklig, auf seinen zwei schneeweissen und extrem dünnen Hinterbeinchen halten konnte. Eifrig tänzelnd versuchte das drollige Ding mit seinen Beisserchen oder Vorderpfötchen den Gehstock zu erhaschen. Anna durchschaute Dimitriy’s Absichten und zeigte sich darüber sehr erbost. Ihr energisches „Stoi, stoi, Jurj“ spornte den Kleinen nur noch mehr an. Er zerrte an der Leine und riss Frauchen fast um. Belustigt und aufgeheitert nutzte der Charmeur die Stunde und erkundigte sich, mit seinen üblichen Floskeln: „Dobraje utra! Verehrte Dame, Ihr Hündchen ist so fein und schön! Gönnen sie ihm doch etwas Spass!“ Juri jaulte auf vor Vergnügen und Dimitriy ergänzt: Sie scheinen mir so traurig!?“
Anna spitzte ihre Lippen, zischte erst den Kleinen an, um dann mit nachdrücklichen Worten den aufdringlichen Herrn aus ihrem Blickfeld zu verscheuchen. Der Verschmähte zelebrierte einen Bückling, entschuldigte sich, mit seinen üblichen Floskeln und entfernte sich eilends. Dabei schmunzelte er für sich: „Warte nur mein Täubchen, eines Tages erwische ich dich!“
Bereits am nächsten Tag begegneten sich die Zwei wieder: „He Jurj! Komm spring du Süsser! Mach mich glücklich!“, rief Dimtriy. Anna zischt sehr resolut: „Mein Herr, wie unverschämt sind ihre Auftritte. Komm Jurj, ein Wetter naht. Rasch, rasch nach Hause mit dir!“ – „Aber ein Stückchen Wurst darf ich ihm doch noch geben?“. Ohne eine Antwort abzuwarten, streckte der Charmeur dem braven Jurj ein Stückchen Wurst vor die Nase. Dieser schnappte sich den feinen Happen, um nach dessen Verzehr für Nachschub zu betteln. Der Kleine sah dabei so lustig und possierlich aus, dass auch Anna lachen musste. Sie wagte sogar ein paar Worte des Dankes auszusprechen, bevor sie sich mit Jurj von Dimitriy entfernte. Dieser spürte, dass diese Frau, so wie sie sich gab und sich ausdrückte, seinen früheren Eroberungen nicht im geringsten ähnelte. Anerkennend erfasste er, dass nicht einmal seine Frau so adrett und wortgewandt war.
Wie tausend Mal schon erzählt, ergiesst sich plötzlich ein Platzregen aus heiterem Himmel über Land und Leute. Das Hündchen reisst sich erschrocken von Anna los und läuft mit samt seiner Leine über Wiese, Stock und Stein zum nächsten Unterstand. Anna schreit: „Stoi, stoii! Niet! Jurjjjj!“ Dimitriy erfasst die Situation. Er eilt der wehklagenden Anna und ihrem aufgescheuchten Hündchen hinterher. Dimitrij steigert sein Tempo, überholt Anna und erreicht als Erster, den kleinen Ausreisser. Er hebt ihn auf, um ihn dann triumphierend der fassungslosen Anna zu präsentieren. Patschnass finden die Drei im schuppigen Unterstand einen trockenen Platz. Dimitrij zieht seine Jacke aus und reibt dem, immer noch in seinen Armen haltenden Scheisserchen, das seidenweiche Fell trocken. Die dankbare Anna reisst ihrerseits ein seidenes Taschentuch aus ihrem Beutel und wischt dem Kleinen die restlichen Regentropfen von seinem wuscheligen Häuptchen.
Die zwei Erwachsenen kommen sich dabei sehr nah und es passiert was in solchen Fällen immer geschieht: Ihre Hände berühren sich. Das feuchte lange Haar von Anna streift Casnova’s Brust. Dem Hündchen wird es eng und heiss. Zappelnd entwindet es sich aus seiner sehr einklemmenden Position. Gleichzeitig sinkt Anna ohnmächtig in Dimitriy’s Arme. Mit triumphierendem Blick legt er sie ganz sachte und behutsam auf eine passable Unterlage.
Anna erwacht. Sie wird von peinigen Gedanken geplagt: „Ach mein Herr, was ist denn mit mir los?“ Er küsst sie ganz zart und fein. Sie wehklagt: „Ach mein Herr! Hören Sie auf. Wie soll ich Sie und mich noch respektieren?“ Er drückt sie noch fester an sich. Seufzend und ermattet ergibt sich Anna und schluchzt: „Ach, Ach! Ich hätte Sie abweisen müssen! Auf welche Weise hätte ich mich nur wehren können? So stark wie Sie sind, kann Ihnen kein Geschöpf der Welt widerstehen! Sie haben mich beschmutzt und entehrt!“ Für Dimitriy sind solche Sätze nichts Neues. Wieder einmal mehr hat er sein Ziel erreicht. Zufrieden und mit vielen Liebesbezeugungen turtelt er weiter mit Anna. Er umgarnt sie noch mehr und moniert: „Ach mein Täubchen, was peinigst du dich so!“ Anna fällt ihm ins Wort: „Für mich ist das wohl ein Problem. Mein Mann betrügt mich schon lange. Er ist sehr lebenslustig und fühlt sich frei und ungebunden, das schmerzt mich sehr!“ Dimitriy will sie beim Sprechen hindern. Anna darüber erbost, reisst sich los. Aufgewühlt, aber mit bestimmten Worten erklärt sie sich: „Mit dieser Spielerei, wie Sie sagen, betrüge ich mich selber! Denn, ich verurteile das Verhalten meines Mannes vehement und bezeichne ihn als unverantwortlicher und treuloser Barbar! Wie soll ich ihm in Zukunft entgegentreten?!“ Diese Offenbarung ärgert Dimitriy. Er fühlt sich seinerseits sehr betroffen.
Zum Glück zeigt sich die Sonne wieder. Sie verlassen den Unterstand und begeben sich gemeinsam zum Meer. Ueberwältigt vom wunderbaren Anblick der tosenden Wellen sammelt sich Anna. Gelöst und sehr scharfsinnig philosophiert sie: „Sieh, Dimitriy, es ist alles so schön auf dieser Welt. Aber nur, wenn man einander redlich vertraut und all das Gute respektiert und beachtet. Ueberdies soll das eigene Denken und Handeln immer wieder aufs Neue überdacht und ins richtige Licht gestellt werden, ebenso die vielen Wünsche, Träume und Visionen. Man sollte sich niemals auf Kosten eines Anderen amüsieren und dabei sogar die eigene Menschenwürde vergessen!“ Dimitriy gibt sich gleichgültig. Er betrachtet belustigt, und sehr zufrieden mit sich selber, diese komplizierte Anna und das aufgewühlte Meer. Einzig Jurj spürt, dass Annas besonnenen Ausführungen gerechtfertigt sind. Jaulend versucht er sich mitzuteilen: „Wau, wir Hunde haben es um einiges einfacher! Wir können mit Schweifwedeln mehr Gefühl ausdrücken, als ein Mensch mit stundenlangem Gerede.“ (Zitat Louis Amstrong)
Bis zu Dimitriy’s Wegfahrt, treffen sich die beiden regelmässig. Anna sehr zögerlich und mit sich hadernd. Ihre Befürchtungen, von Dimitriy als leichtes Mädchen eingestuft zu werden, sind zum Teil berechtigt. Denn für Dimitriy ist sie tatsächlich eine willkommene Abwechslung. Er überspielt dies charmant und erklärt ihr immer wieder beharrlich, dass sie ein besonders bezauberndes, geistreiches und wunderschönes Geschöpf sei. Das Ende der Ferien naht und die beiden trennen sich im Glauben, dass sie einander nie mehr sehen werden.
Nach den Ferien verläuft Dimitrij’s Leben wie gewohnt. Doch etwas ist anders. Er kann diese Anna nicht vergessen. Nachts träumt er von ihr und ihrem Hündchen. Er hofft, in seiner Stadt eine Frau zu finden, die Anna in ihrem Wesen ähneln würde. Er beginnt alle Frauen, auch seine Angetraute, mit Anna zu vergleichen. Sein Verlangen, Anna zu sehen, wird immer grösser. Eines Tages erklärte er seiner Frau, dass er nach St. Petersburg fahren müsse. In Wirklichkeit fährt er wieder nach Jalta. Bereits am ersten Tag steht er vor Anna’s Haus und hofft, sie zu sehen. Am Abend geht er ins Theater. Dort trifft er tatsächlich auf seine Anna. Diese reagiert erschrocken und schockiert. Sie versucht, nach dem ersten Akt, schnell nach Hause zu kommen. Ihrem Mann täuscht sie eine Migräne vor. Im letzten Moment bemerkt Dimitriy ihr Vorhaben, und er folgt ihr. Die Zwei finden wieder zusammen und beschliessen von da an, einander nicht mehr aus den Augen zu lassen.
Dimitriy reiste von da an regelmässig nach Jalta. Sie geniessen die kurzen gemeinsamen Stunden. Ihre geistreichen und tiefsinnigen Zwiegespräche umrahmt ihr warmherziges und friedvolles Zusammensein und festigt ihre Zuneigung zueinander. Dimitriy verehrt und liebt seine Anna, wie niemals zuvor eine andere Frau. Anna spürt seine Veränderung und blüht in seinen Armen so richtig auf. Beide erkennen, dass sie das Glück haben, sich durch wahre Freundschaft und tiefe Zuneigung gefunden haben. Sie stellen fest, dass sie dank ihrer gegenseitig ehrlich gemeinten Zuneigung fähig sind, eine Partnerschaft zu führen, die auf Vertrauen, Respekt und gegenseitiger Achtsamkeit basiert. Doch sie bedauern zutiefst, dass sie ihre wahre Liebe verheimlichen und ein Doppelleben führen müssen.
Ja, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch glücklich und zufrieden miteinander. Zwar heimlich und verschwiegen, dafür einander ehrend und respektierend!
Schreibe einen Kommentar