… bereits im Kindergarten selbstverständlich!
Unsere erste Kindergartenzeit, wäre viel schöner verlaufen, wenn wir einer etwas umgänglicheren Kindergartenlehrerin zugeteilt worden wären … Ziemlich schnell mussten wir Kinder (mit fünf und sechs Jahren) erfahren, dass fremdsprachige und sozial schwache Kinder (darunter auch einige FreundeInnen von uns) von Fräulein Wildehilde geplagt und schikaniert wurden. Wir hatten schon vor unserer Kindergartenzeit, der vielen Gerüchte wegen, sehr grosse Angst vor ihr gehabt.
Das alte und schon sehr wunderlich wirkende Fräulein Wildehilde hat stets ihre graumäusigen Haare straff nach hinten frisiert und zu einem kleinen Ribelibollen zusammengebunden. Darüber hat sie ein Haarnetz gewunden. Meistens steckte noch eine Nadel in ihrem Ribelibollen. Diese Nadel hat ihr als Hilfsmittel gedient, um unsere Schtriggtrigg- und Webarbeiten zu verbessern. Sie hat, wenn sie in unseren Handarbeiten einen Fehler entdeckt hat, blitzschnell den Kopf schräg auf ihre Schulter gelegt, die Nadel aus ihrem Haarknoten gerissen und zwischen ihre Zähne geklemmt. Mit ihren spitzen Finger packt sie jeweils zuerst den Stricktrick- oder Webfaden, runzelt dann die Stirn, nimmt die Nadel zur Hand und beginnt damit bedrohlich vor sich hin murmelnd, in unserem Handwerk energisch rum zu stochern. Wenn sie damit fertig ist, versorgt sie die Nadel wieder in ihrem Ribelibollen, aber nicht ohne noch schnell mit dem Kind, dem die Bastelarbeit gehört, rum zu maulen.
Roberto, Tamaaruschka und ich haben schon öfters darüber gerätselt ob sich die Nadel vielleicht im Ribelbollen mit Gift voll saugen könnte… Denn viele Leute sagen, dass Fräulein Wildehilde eine giftige alte Jungfer sei oder, und dass sie ein besonderer Schreck für alle Jungs sei. Wir Kinder zweifeln überhaupt nicht daran, denn Fräulein Tante Wildehilde, ist nebst ihrem unmöglichen Kopfschmuck sehr klein gewachsen, kugelrund und immer mausgrau gekleidet! Sie sieht auch nicht so lieb aus wie unsere Omas und Nonas. Also musste man sich vor ihr in Acht nehmen. Roberto, Piroschka und ich haben einander versprochen, ihr nie zu Nahe zu kommen. Wir drei Kinder haben uns deshalb angewöhnt, während der Märchen- oder Singstunde, immer im hinteren Kreis Platz zu nehmen …
Wieder einmal hat Fräulein Wildehilde ein Opfer gefunden; ausgerechnet Piroschka. Unsere Freundin hat sich etwas in die Hosen gemacht. Fräulein Wildehilde zerrt diese deshalb in den inneren Spielkreis. Da hebt die Tante den Rock von Piroschka hoch und sagt ganz hundsgemein: „Lueget e mal Piroschka a! Si hät ganz nassi Hosä a! Aes Loch im Schtrumpf, das isch schön dumm!“ Ich habe mich darüber so erschrocken, weil sich soeben auch bei meinen Strumpfhosen eine Fallmasche verselbständigt hat. Ich halte meinen Finger auf und frage ob ich aufs „Abee“ dürfe! Gottsei Dank! Ich darf! Roberto gar nicht faul, fragt ebenfalls ob er raus dürfe für ein „Bisi“! Auch er darf. Wir zwei treffen uns im WC und beschliessen zu unseren Vätern in die nahe Fabrik zu laufen. Wir erzählen ihnen dort, dass Piroschka dran sei und sicher noch vergiftet werde. Mein Vater sagt zu uns ganz ruhig, wartet hier einen Moment. Robertos Vater bleibt bei uns. Mein Vater fährt mit dem Velo ins Gmüeslädeli und besorgt sich dort ein paar Trinkeier. „So kommt Kinder, auf in den Kampf zur Tante Wildehilde!“ Wir laufen etwas aufgeregt mit ihm zum Kindergarten. Mein Vater flüstert uns dort zu: „So, klopft an die Tür und ich warte etwas abseits!“ Uebermütig klopfen wir, in der Meinung mein Vater schiesse dann die Eier auf den Kopf von Fräulein Tante Wildehilde. Klopf, klopf, klopf! Die Türe wird zügig aufgerissen und schon kreischt’s in hohen Tönen: „Da seid ihr ja! Ihr …! “ – „Grüzi Fräulein Wildehilde. Die Zwei da, haben für sie nur ein paar frische Trinkeier besorgt. Denn sie haben von der Gemüsefrau gehört, dass sie die vom Gmüeslädeli besonders gerne haben!“ Er überreicht ihr die zerbrechliche Ware und entschuldigte sich für das Verhalten von seinem Vreneli und Roberto und mahnt uns, niemals mehr einfach aus dem Kindergarten fortzulaufen. Wir nicken. Was jetzt noch!?
Mein Vater spricht jetzt plötzlich etwas energischer zu Fräulein Wildehilde. Er erklärt ihr, dass s’Vreneli und der Roberto vorhin sehr Angst vor ihr gehabt haben, weil sie so fest mit der armen Piroschka geschimpft habe. Dann erklärt er der verdutzten Kindertante, dass Piroschka hin und wieder unser Mittagskind sei, wenn ihre Mutter über den Mittag arbeiten müsse. „… und wissen Sie, Fräulein Rosa! Piroschka ist ein hoch anständiges Kind und sehr gut erzogen. Es macht bei uns nie ein „Angstbisi“! Ueber kaputte Strümpfe müssen Sie sich überhaupt nicht aufregen. Das ist ganz und gar nicht Ihr Problem! Oder?“ Am Schluss wird Vaters Stimme noch schärfer: „Ausserdem ist es sehr mühsam für meine Frau! Sie muss Piroschka, S’Vreneli und den Roberto vielfach bis zum Kindergarten begleiten. Die Drei haben richtig Angst vor Ihnen. Das dulde ich überhaupt nicht!“ zu uns sagt er: „So ihr Zwei geht nun rein in die gute Stube von Fräulein Wildehilde – und wie gesagt – ihr dürft nicht mehr einfach davon laufen! Versprochen?!“ Das versprechen wir!
Wieder einmal ist Peterli dem Fräulein Wildehilde etwas „zu nahe gekommen“. Sie zieht ihn an den Ohren durchs Zimmer. Der wehrt sich (zum ersten Mal), ginggt die Tante ins Bein und springt so rasch als möglich davon. Die Wildehilde eilt ihm laut gestikulierend nach. Der Zwillingsbruder von Peterli wirft einen Ball Richtung Kindertante (weiss nicht ob absichtlich oder zufällig). Auf jeden Fall fällt unsere „Lehrerin“ um und bricht sich ihre Hand. Betroffen stehen wir alle vor dem am Boden kauernden Fräulein Tante Wildehilde. Sie jammert und hat grosse Schmerzen. Peterli und Pauli beginnen zu weinen und entschuldigen sich, dass sie das doch nicht gewollt haben. In der Zwischenzeit hat irgend jemand Hilfe geholt. Diese Person hat dem Fräulein Wildehilde auf die Beine geholfen und sie zum Arzt gebracht. Wir Kinder haben schnurschtracks nach Hause gehen dürfen (sogar ohne Schimpfis). Am anderen Tag hat uns Fräulein Edeltraud im Kindergarten empfangen. Von diesem Tag an, ist für uns Alle die Sonne aufgegangen. Wohin Fräulein Wildehilde verschwunden ist, weiss keine Menschenseele!
Herzlichen Dank Peter und Paul!
Euer unabsichtlicher Kampf mit dem Fräulein Tante Wildehilde hat sich gelohnt!
An einer Klassenzusammenkunft haben wir erfahren, dass unsere zwei Helden im Militär sehr „hohe Tiere“ geworden sind und auch in der Wirtschaft nicht „ohne“ sind! Falls an einem Kompanie- oder Geschäftsabend ein Peter oder Paul damit blöfft, dass er bereits als kleiner Junge eine Jungfrau zu Boden gebracht habe, dann dürft ihr ihm das ruhig glauben!
Die Geschichte hat Helden und Werkzeuge
und macht beide unsterblich.
Marie von Ebner – Eschenbach
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