… Babuschkas sind müde – Basta!
Praktisch in jeder Familie wohnte noch ein Grosselternteil, meist ein Nono, eine Nona, oder eine Babuschka, ein Oma usw. Diese trugen meistens tiefschwarze Kleider, ein Kopftuch oder eine Kappe. Durch ihre Kriegs- und Fluchterlebnisse hatten sie, verständlicherweise keine Nerven und Energie um auf uns Kinder aufzupassen. Erstaunlich war, dass sie niemals mit uns Kindern über ihre Kriegs- und Fluchterlebnisse sprachen. Sie lächelten uns nur etwas verloren und mit einem wehmütigem Blick an. Deshalb nahmen wir Kinder an, dass eine Nona oder Nono lieb und müde zu sein hat – Basta!
Niemals sprach irgend jemand in Gegenwart von uns Kleinen über „böse Zeiten“ – auch dann nicht, als ungarische Flüchtlinge in unserem Quartier aufgenommen wurden. Der Ungarnaufstand wurde uns auf einfache und sehr humane Art erklärt. „Wisst ihr Kinder, den Eltern von Piroschka hat es in Ungarn nicht mehr gefallen und so sind sie jetzt zu uns gezügelt, weil es hier so schön ist! – Fertig! So einfach ist das! Ich bin meinen Eltern (und all den anderen Erwachsen heute noch dankbar, dass wir über Kriege und andere unschönen Sachen erst in der Schule aus den Lehrbüchern erfahren haben!).
Unser Nono (der Vater meiner Mutter) war ein sehr fröhlicher und lustiger Mann. Er lebte bereits seit Jahren seines Berufes wegen in der Schweiz als Schlosser- und Mauermeister. Wir Kinder waren ihm eher lästig und zu ungestüm. Er polterte mit uns „Porggogäng, mi lasci in pace!“ „Madonna mia, lascia questa!“ Denn unser Nono hatte nach einem langen Arbeitstag überhaupt keine Lust, um sich mit seinen Grosskindern abzugeben. Er wollte unbedingt seine Ruhe haben, damit er am anderen Tag wieder stark sei, für die Arbeit. Hingegen an den Wochenenden zeigte sich unser Nono von der lustigsten Seite, (nur da musste er auch nie auf uns aufpassen). In seiner freien Zeit zog er sich immer prächtig imposant an (weisses Hemd, Krawatte, Gilet, Anzug, glänzende Schuhe und immer den dazu passenden Hut). Dann absolvierte er seinen obligaten Spaziergan zu Nart seinem besten Kollegen. Die zwei gingen dann jeweils in den Salmen, um dort noch weitere italienische Kollegen zu treffen.
Wieder einmal an einem Sonntag stürmt aufgeregt ein Mann in unsere Wohnung. Halb aufgelöst spricht er zu meinen Eltern: „Euer Vater sitzt im Salmen und im oberen Stock brennt es. Wir bringen ihn und seine Kollegen nicht aus dem Restaurant. Sie wollen zuerst den Jass zu Ende bringen und den Wein noch fertig trinken!“ – „Och, Angelo, der Sturkopf!“, schimpft mein Vater, schwingt sich auf sein Velo und fährt zum Salmen. Meine Mutter zieht uns schnell etwas über und schon stehen auch wir vor dem Salmen! Oben brennt alles lichterloh! Ich beginne zu weinen und möchte da weg. Zu meinem Entsetzen sehe ich meinen Vater aus dem Haus kommen. Er und ein Kollege tragen einen Tisch beladen mit Gläsern, Aschenbechern, Flaschen und Jasskarten aus dem Restaurant. Dahinter folgen zwei Feuerwehrmänner. Jeder trägt zwei Stühle raus. Dahinter folgen lamentierend mein Nono, mit seinem Nart und zwei anderen Typen. Inzwischen hat mein Vater den Tisch, in sicherem Abstand zum Haus in den Rasen gestellt. Die Feuerwehrmänner drapieren die Stühle schön darum herum und schon jasst mein Nono mit seinen treuen Freunden weiter. Die beachten überhaupt nicht was um sie herum passiert … Beruhigt, dass Nono in Sicherheit ist, bringt uns unsere Mama wieder nach Hause. Doch der Schock vom brennenden Haus und das Wissen, dass unser Vater löschen hilft, raubt mir fast den Verstand … (heute noch!). Am Abend kommt mein Vater über und über russgeschwärzt und mit einem verägerten Nono nach Hause … Er mault, man habe seinen Hut in der Wirtschaft liegen lassen. Jetzt sei das kostbare Ding rabenschwarz. „Madonna mia! Che vergogna!“, der Nono ist in Fahrt, obwohl er ja eigentlich seine Ruhe bräuchte, für seine so schwere Arbeit am anderen Tag …
Nono müsste man sein!
So unbekümmert wie eine Forelle im Bächlein helle!
So hugha hagha polternd wie der Affe auf dem Baum!
So in sich ruhend wie ein Buddha!
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