Liebe, Heirat und Taufe
Roberto und ich schworen uns ewige Treue. Mindestens zwei Mal pro Monat wurde dieser Schwur in unserer katholischen Pfarrkirche erneuert. Denn nur hier war alles vorhanden, damit wir den für uns so wichtigen Anlass schwörend abhalten konnten.
Wieder einmal, mit Puppenwagen, zwei Puppen, Vorhängen und „Papierringli“ (von ganz kostbaren Zigarren) bestückt, versammelten wir uns vor der Kirche. Roberto half mir hier den Vorhang um Kopf und Schulter zu schlingen. Die zwei Puppen wurden ebenfalls mit Gardinenstoff abgedeckt. Meistens brachte Roberto noch ein paar, von ihm gepflückte Schweineblumen (Löwenzahn) oder sonst ein Hahnenfussgewächs mit. Gemeinsam und ganz feierlich hievten wir jeweils den Puppenwagen samt Inhalt die zehn Treppenstufen hoch. Dann öffnete Roberto für mich und unserer kostbaren Fracht ganz galant das Kirchentor. Wie immer tauchten wir unsere Finger ins Weihwassergefäss und bekreuzigten uns ganz innig, mit den Worten: „Pater noster, gäll wir kommen in den Himmel!“
Diesmal war es wie verhext. Ich hatte meine zwei Puppentassen zu Hause vergessen. Guter Rat war teuer, wie sollten wir etwas Weihwasser ohne Gefäss, für die Segnungs- und Taufzeremonie, an den Altar beschaffen? Roberto und ich schoben deshalb, genseitig keifend, den Puppenwagen zum Altar. Wir trösteten uns ich meinte: „Och, wir können auch ohne geweihtes Wasser unseren Liebesschwur erneuern!“ Röbi fand auch, dass die ausnahmsweise sicher ginge. Doch er war unsicher ob man die Ringe auch ohne Wasser segnen könnte. „Ach komm, mein Roberto, wir fangen jetzt einfach an.“ So schworen wir uns gegenseitig, an den Händen haltend und emsig bekreuzigend die wahre und feste Liebe. Beim: „Willst Du mich, liebes Vreneli, heiraten und immer treu sein?“, beantwortete ich routinemässig mit Ja. Roberto seinerseits bekräftigte auch lautstark „sein Ja, für immer und ewig!“
Nun schritten wir zur Taufe. Blöd, das „Wiichwasser“ fehlte uns doch. Roberto schritt vor dem Altar auf und ab und viesierte plötzlich die Sakrestantüre. Er hebelte am Türgriff und diese öffnete sich, „mit einem Jesusgott!“, aus meinem Mund. Gemeinsam traten wir ein, in den heiligen Sakristanraum. Wir blickten erstaunt um uns. Alles ausgeräumt und überall lagen Malerutensilien und anderes Zeug. Nur wo hatte es ein winzig kleines Kübeli für unser dringend benötigtes Wasser? Wir schauten uns nochmals sorgfälltig um und hoben dabei etwas Abdeckmaterial auf. Bier, Mineralwasser, angekaute Brote und vieles mehr kam da zum Vorschein, nur kein „Becherli“! Da – „Schau mal, hier hat es Heftli mit Fotos! Komm, und sieh dir mal die Bilder an!“ Ahh, alles blutte Frauen – oder fast blutte! Ich hockte mich mit Roberto auf den Boden und wir bewunderten diese schönen Geschöpfe ganz innbrünstig. Noch nie hatten wir so schöne Frauen gesehen. Mir gefielen die Blonden am Besten und Roberto konnte sich nur für die Schwarzhaarigen begeistern. Innert kürzester Zeit hatten wir den schönsten Streit miteinander. Beleidigt über den schlechten Geschmack von Roberto eilte ich zum Altar, ergriff meinen Puppenwagen uns steckte dabei mein Heftli den ungetauften Puppen unter den Rücken. Dabei schmiss ich meinen Schleier über den Wagen. Roberto schwenkte seinerseits seine Mizenbilder über dem Kopf und rief ganz seelig: „Die nehme ich mit nach Hause!“ Sagt’s und schon versorgte sein Heftli unter seinem Pullover, ganz nahe an seinem Herzen. Wo wir uns doch ewige Treue geschworen haben.
Zankend liefen wir nach Hause. Da gingte ich meinen Roberto ins Schienbein und schleifte meinen Puppenwagen voll Wut und Tränen unsere Gangtreppe hoch. Durch das Poltern und mein wütiges Fauchen und dem hämischen Lachen seitens Roberto, fühlte sich meine Mutter veranlasst nach dem Rechten zu sehen. „He, He, was soll das? Ach, Gott Vreneli, so geht doch dein Puppenwagen kaputt!“ Mit diesen Worten erhaschte meine Mutter den Wagen und stellte ihn schwungvoll oben in unserer Wohnung ab. Roberto eilte uns zwei, in unsere Wohnung nach, und griff, oh Schreck“ voll Tatendrang in den Puppenwagen und überreichte meiner Mutter „mein Heftli“. Diese stutzt, guckt (wirklich etwas blöd) und: „Woher habt ihr das schweinige Zeug!“ „In der Kirche gefunden!“, rief mein Roberto und ich nicke dazu. „Ach so ein Schmarren, die habt ihr sicher wieder vom Slongo, dem Schlawiner!“ (Ihr müsst wissen, Slongo war der Vorarbeiter von meinem Vater. Und dieser Slongo hatte eine etwas massivere und wunderschöne Frau geheiratet. Er spasste immer über sie, so dass meine Mutter ganz wild und grantig wurde. Nur mein Vater konnte über seine zottigen Sätze lachen.)
Nun, meine Mutter, die hatte wirklich italienisches Temperament. Sie sprang ans offene Küchenfenster und rief ganz laut: „He, Fridolin, komm nach Hause, kannst den Slongo gleich mitbringen…!“ Ganz verdattert gucken wir zwei frisch Vermählten uns an und beschlossen blitzartig: „Hi, brenzlige Situation, jetzt heisst es zusammenhalten!!“ Tatsächlich mein Vater hat den Ohmmachtsruf meiner Mutter gehört und erschien blitzschnell bei uns in der Küche. Postwendend steckte ihm meine Mutter das Corpus Delicti hin. Der machte ein „Pfff“, und „Uff“ und dabei lachte er wie ein wieherndes Pferd. „Nein, nein mein Theresli, solche Sachen liest der Slongo nicht! Ist ja alles Deutsch geschrieben und es hat keine italienische Frauen in diesem Heft. Der steht nur auf südländische Exemplare!“ Meine Mutter guckte noch grimmiger und fauchte uns an: „So sagt, woher habt ihr das Zeug!“ „Dänk aus der Kirche!“, triumphierte mein Roberto. Hier habe ich noch ein’s!“ – und da waren, oh weia, lauter italienische Frauen abgebildet, und die Texte in italienischer Sprache abgefasst. „So, soo aus der Kirche!“, mein Vater wurde jetzt ebenfalls ernst und nahm uns bei der Hand. Dies war schon ein fast schmerzhafter Chüngeligriff. Ich stottere: „Ja, aus der Kirche…, wir wollten nur die Puppen taufen und da waren plötzlich die Hefte da!“ „Aber sicher nicht auf dem Altar oder?“, mein Vater tönte jetzt arg hässig. Meine Mutter, eine besonnene Frau, meinte plötzlich ganz ruhig (gefährlich ruhig). „Kommt und zeigt uns, wo ihr diese Zeitschriften gefunden habt.“ So marschierten wir zu Viert (ohne Puppen) wieder in die Kirche zurück.
„Also Kinder, hier am Altar sehe ich keine Heftli, weniger als nichts!“ „Ja, schaut dort drin, haben wir sie gefunden.“, antworteten wir Kinder gleichzeitig. Meine Mutter huschte im Eilschritt ins geweihte Zimmer und schaute sich hier energisch um. „Ha, Fridolin, tatsächlich, hier liegen noch mehr so Heftli!“ Mein Vater grinste wie Schildbürger und lamentierte: „Die chaiben Maler! Sie können es nicht mal in der Kirche lassen…!“ Meine Mutter rief ganz empört: „Das hätte ich dem Lehmann nie zugetraut! So ein Schwiinueli!“ Der Vater meint: „Jäh nuu Theresli, solche Sachen passieren. Man muss nicht alles so Ernst nehmen.“ Zu uns meinte er: „Was habt ihr überhaupt hier gemacht? Wisst ihr nicht, dass man nicht einfach in fremde Räume eindringen darf und erst noch Sachen stibitzen. Jetzt seht ihr, was ihr angerichtet habt. Ich muss mein Theresli beruhigen, und dem Lehmann die Zeitschriften zurückerstatten!“ Wir waren überzeugt, dass mein Vater die schönen Frauen zuerst noch eingehend studiert hatte… Ob gemeinsam mit meiner Mutter oder dem ollen Slongo, bleibt offen.
Bilder von meiner Umgebung, wo ich aufgewachsen bin 45034972
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