Glühwürmchen auf Reisen

Mit achtzehn darf man noch hoffen,
da sind alle Wege noch offen…

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„Eh, salü, excuse-moi, abt ihr noch Platz frei iier?“, fragt uns der hübsche Austauschstudent Emanuel aus Paris. „He, claro, setz dich nur zu uns!“, meint mein Freund Pepe; und schon palavern wir mit dem charmanten Pariser kreuz und quer durch alle Sparten. Wir fragen ihn, ob er in Paris die Sommerferien verbringen werde. Er rollt seine blauen Augen und meint: „Oh non, merci! Zuviele Touristen, ich bleibe lieber in der Schweiz!“, er fügt an: „Am 14. Juli feiern wir das Fête Nationale! Darauf kann ich verzichten, da hat es besonders viel Gesindel!“

„Fête National!? Och, das möchte ich auch mal erleben! Paris, so eine tolle Stadt…!“, seufze ich. „Kannst vergessen, das ist viel zu teuer für uns!“, sagt mein Pepe. Emanuel meint, das ist doch kein Problem, da fährst du mit dem Auto hin, gehst auf einen Zeltplatz und voilà, deine Ferien sind bezahlbar! Ivo, ein weiterer Kollege von uns argumentiert: „Du bist gut, mit dem Auto in die Ferien, wenn man keines hat!“ Wir blödeln so hin und her, von wegen Geld, Ferien und anderen Vergnügen. Auf einmal sagt Emanuel: „He, nehmt doch einfach mein Auto und fährt damit nach Paris. Ihr könnt dort in meiner Wohnung wohnen!“ Wir sträuben uns erst und haben X-Einwände, dass wir doch nicht so unverschämt sind usw. Emanuel erklärt uns: „Das ist doch kein Problem! Im Gegenteil, ihr erweist mir damit einen Gefallen!“ „Ich habe in meiner Zürcher Absteige zu wenig Platz. Ihr könnt für mich Alles, was ich nicht mehr benötige, mit dem Auto nach Paris bringen!“ „Eh, très bien!“, wir finden die Idee genial.

Ein paar Tage später, übernehmen wir (mein Freund Pepe, unser Kollege Ivo und ich) den Renault von Emanuel. Der Kofferraum ist verschlossen und pumpenvoll mit Emanueles Sachen… Wir verstauen unser Gepäck auf dem Rücksitz! Ab die Post, Paris wir kommen!

Nach einer langen aber vergnüglichen Fahrt erreichen wir Paris.

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Es ist Abend, der Verkehr enorm. Dank Emanueles Strassenkarte finden wir seine Wohnung ziemlich schnell. Wie abgesprochen holen wir beim Portier (Abwartsloge) Emanueles Wohnungsschlüssel. Mit dem Rumpellift fahren wir hoch und landen in einer rieseigen Wohnung! Kein Wohnzimmer, dafür eine Wohnküche mit viel Pfannen auf dem Herd, Geschirr im Schüttstein auf dem riesigen Tisch – alles mega schmutzig! Die Schlafzimmer sind ein Volltreffer: die Doppelbetten aus Samt und Seide, weiche Teppiche, glänzende Tapeten, goldumrahmte Spiegel, dicke Vorhänge! Nur – alles ist schmuddelig, schmutzig und obergrauselig! Uns steht der Verstand still. „Da bleibe ich keine Minute!“, rufe ich! Pepe meint: „Gopfertori, hätten wir doch unser Zelt mitgenommen…!“ Ivo zuckt mit den Schultern und meint: „He, wie wollen wir ein Hotel bezahlen! Irgendwo hat es sicher saubere Bettwäsche und wir machen zwei Zimmer für uns zurecht!“ Mit Katzenjammern und Zähneknirschen schaffen wir es tatsächlich zwei Zimmer einigermassen schlafgerecht herzurichten. Ach ja, die Dusche! Nun darüber wollen wir nicht sprechen. Paris ist eine zu tolle Stadt, als das man sich über Nebensächlichkeiten, wie Schmutz und Dreck aufregt oder darüber nörgelt.

Wir holen uns unsere Sachen aus dem Auto. Ebenso wollen wir Emanueles Sachen herausholen. Es ist wie verhext. Unser Autoschlüssel passt nicht ins Kofferraumschloss. Wir rufen Emanuel an. „Mon Dieu! Kein Problem! Ruft meinen Bruder an, der hat einen zweiten Schlüssel…!“ Es geht nicht lange, da kommt der Retter der Stunde! Mit charmantem Lächeln öffnet er den Kofferraum… uns bleibt der Verstand ein zweites Mal stehen: Drei tip toppe Revox-Steroanlagen liegen eng verstaut im Kofferraum. Die dazugehörenden Kabel und Kleinmaterialien fischt Emanueles Bruder unter den Sitzen hervor! Mein Freund erfasst die Sachlage sofort und ist am Explodieren. Ivo, gemächlich wie immer: „Du heitere Fahne! Zum Glück haben die uns an der Grenze nicht durchsucht!“ Die heisse Ware wird vom „Bruder“ pfeifend umgeladen, und er fährt grinsend davon. „Amusez-vous bien mes amies!“

So gegen Mitternacht legen wir uns zur Ruhe. Plötzlich hören wir das Türschloss… Wir verlieren tatsächlich ein drittes Mal den Verstand, denn da steht tatsächlich eine ausgewachsene tolle Biene, mit ihrem Chéri, in unserem Zimmer. „Excusez-moi!“, und schon ist sie in ein anderes Zimmer entschwunden… Vorsichtshalber schliessen wir unsere Türe ab! Am nächsten morgen erfahren wir von der charmanten Blondine, dass sie auch hier wohne, und halt hie und da Gäste mitbringe – „C’est ça! Travailler l’amour est très bien!“

Die zweite und dritte Nacht schlafen wir sehr gut! Die Reise hat sich trotz schmutziger Wohnung, regem Puff und heisser Schmuggelware gelohnt.

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Denn der Nationalfeiertag ist für uns wirklich eine Wucht und ein einzigartiges Erlebnis gewesen. Ebenso hat sich Paris als eine mega interessante Stadt entpuppt, und uns von seiner besten Seite gezeigt!

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Auf jeden Fall reisen wir am vierten Tag zufrieden und aufgestellt wieder Richtung Schweiz. Etwa um Mitternacht erreichen wir den französischen Zoll. Wir werden durchgelassen!

Der Zöllner am Schweizerzoll hält uns an, wir müssen aussteigen und unsere Pässe abgeben. Wir werden wir in ein Büro geleitet. Ein anderer Zöllner durchsucht unser Auto… „He, was soll das?!“ entfährt es meinem Pepe. „Ihr seid Schweizer und wollt ein gestohlenes Auto (mit französischem Kennzeichen) in die Schweiz einführen?“, schnurrt uns der Zöllner an. „Gestohlen? Nein, das Auto hat uns Emanuel überlassen, damit wir einmal den Fête national erleben können…!“ „Erzählt uns keine Märchen! Das Auto mit dem Kennzeichen F ….. ist letzte Woche, in der Schweiz, als gestohlen gemeldet worden!“ Wir müssen uns setzen und die Sache erst mal verdauen! Die Zöllner telefonieren hin und her, unter anderem auch dem Emanuel (auf Grund unserer Nummerangabe). Dieser meldet sich zwar und legt schnell auf, als er hört wer dran ist.

„Gebt’s zu Emanuel ist euer Komplize!“ Ich muss lachen: „Der Emanuel?!“ In diesem Moment erscheint der Vorgesetzte des Zollbeamten. Er hält unsere Pässe in den Händen und meint zu mir: „Bist du nicht die Tochter vom Fridolin?“ Ich kann das bejahen. Da nimmt er mich auf die Seite und fordert mich väterlich auf, ihm doch die ganze Sache zu erzählen. Unterdessen erzählen auch Pepe und Ivo (unabhängig voneinander) die Geschichte dem anderen Zöllner. (Zum Glück hat keiner von uns erwähnt, dass wir für Emanuel diverse Sachen, in einem verschlossenen Kofferraum, nach Paris transportiert haben). Nach der Unterzeichnung der Protokolle können wir den Zoll verlassen. Das Auto müssen wir stehen lassen. Wie kommen wir nach Hause? Gott sei Dank erklärt sich ein Zollbeamter bereit, uns nach Hause zu führen…

Es ist schon so, Beamte dürfen, mit hochoffizieller Erlaubnis von oben, noch nicht volljährigen* Glühwürmchen aus der Patsche helfen.

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Ach ja, den Emanuel haben wir nie mehr gesehen… und heute, wo ich diese Zeilen schreibe, wundere ich mich, dass wir so glimpflich davon gekommen sind.


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