Ein sonniges Wochenende und etwas Stau …

kann viele Schönes, aber auch Trauriges an den Tag bringen!

Die paar Stunden im Schnee, bei schönstem Wetter geniessen mein Mann und ich in vollen Zügen. Schon bald geht’s wieder Heimwärts! Die Staumeldungen verheissen nichts Gutes. Deshalb schlage ich meinen Mann vor, dass wir doch erst einen Abstecher in „mein Dorf“ machen, damit ich ihm mal zeigen könne, wo ich die ersten acht Jahre meines Lebens verbracht habe …

Bald sind wir da. Bereits die ersten Häuser und Strassenführung beim Ortseingang irritieren mich. Da steht doch Einkaufszentrum, anstelle der Papierfabrik. Das Friedheim ist auch nicht mehr da, dafür zwei grosse Garagen. Etwas weniger euphorisch versuche ich meinen Mann in „mein Quartier“ zu lotsen. Die Wegführung dahin ist mir fremd. Mein Mann fragt mich: „Kennst du wenigstens eine Beiz wo wir etwas essen können …?“ Etwas zu energisch sage ich: „Nein, wenn ich schon mal da bin, möchte ich …!“ – „Schon gut Mutti! Ich parkiere hier unser Auto, dann gehen wir zu Fuss weiter!“

Auf diese Weise erreichen wir problemlos die Strasse meiner ersten Lebensstationen! Die Häuser, wo früher meine Freundin und die andere Kinder wohnten, stehen nicht mehr da, dafür drei Blockwohnungen. Einzig „mein Dreifamilienhaus“ steht noch wie zu alten Zeiten; heute zwar eingerahmt von Fabriken und Bürogebäuden. Macht nichts! Hauptsache es steht noch … Ich muss einen Moment durchatmen dann sage ich zu meinem Mann: „Schau darin bin ich aufgewachsen, im oberen Stock haben wir gewohnt. Komm wir wollen mal sehen, wer jetzt da lebt!“ Wir müssen gar nicht bis an die Haustüre laufen. Eine grosse wunderschöne bunte Tafel prangt an der Fassade und darauf steht. „TAGESHORT FÜR KLEIN UND GROSS“. Weisse Schildchen mit bunten Bändchen an der Haustür geben darüber Auskunft, wo welche Gruppe zu finden ist. Schnell erfasse ich, dass das weisse Täfelchen mit den blauen Bändchen zu „meiner Wohnung“ gehört. Ich schaue hoch zu „meinen Fenstern“. Die blau gestrichenen Fensterläden rühren mich, denn Blau war und ist immer noch meine Lieblingsfarbe. Bei Robertos ehemaliger Wohnung sind die Fensterläden rot und die der damaligen Familie Immerfroh sind gelb … Es wird mir ganz warm, entspannt nehme ich meinen Mann am Arm, um ihm die weitere Umgebung (oder was davon noch übrig geblieben ist) zu zeigen und darüber zu erzählen:

In dieses Haus sind meine Eltern mit Nono und mir eingezogen, als ich zwei Jahre alt gewesen bin. Eines Tages erzählt mir mein Vater, dass ich ein Geschwisterchen bekommen habe. Natürlich habe ich wissen wollen, wo den dieses sei. Mein Vater erklärt mir, dass es heute noch, mit meiner Mutter, im Krankenhaus sei … Am Nachmittag hat mein Vater mich auf sein Velo gesetzt und ist mit mir dahin gefahren. Der lange und etwas düsterer Korridor riecht sehr befremdlich. Da begegnet uns eine Frau mit Häubchen und hellblauen Kleider. Sie stösst einen riesigen Korbwagen vor sich her. Mein Vater winkt ihr und sagt: „Grüezi Schwester Gundula. Ich komme meine Frau besuchen und s’Vreneli möchte wissen wo ihr Geschwisterchen ist.“ Die Schwester lacht und schiebt ihren Karren direkt vor meine Nase. Mein Vater hebt mich hoch! Ja, liegen tatsächlich fünf kleine schnusige Baby’s drin, fest eingewickelt in warmen Tüchern. „Sind das alle unsere?“, frage ich ungläubig. Mein Vater lacht: „Ja, das wäre eine schöne Bescherung,! Eins auf einmal genügt!“ Da fragt mich die Schwester Gundula: „Na, Vreneli, welches gefällt dir am besten! Dur darfst Eines auslesen!“ Verdattert überlege ich mir die Sache und zeige auf das Kind in der Mitte. Es war das einzige bei dem schön gelockte Haarbüschel unter seiner weissen Kappe hervorguckten. Da sagt doch mein Vater: „Du das ist nicht unseres!“, die Schwester ergänzt: „Nein, tatsächlich nicht. Hier! Das ist dein Bruder!“ Das etwas geschrumpelte Wesen soll mein Baby sein? Und erst noch einen Bruder. „Nein, ich brauche keinen Bruder, habe schon Roberto! Möchte lieber dieses da und eine Schwester!“ Mein Vater lacht schallend, wie immer um seine Verlegenheit zu verbergen: „Mein Fräulein, das entscheidet der liebe Gott, welches zu uns gehört! Komm wir gehen jetzt zu Mami und dort kannst du dir deinen Bruder genauer anschauen! Dann gefällt er dir sicher!“ In Mutter’s Spitalbett hat mir dieses haarlose und wild krähende Bündel noch weniger gefallen. Ich bin stinksauer geworden auf den lieben Gott! Ich wollte nur noch nach Hause zu meinem Roberto und ihm von meinem Kummer erzählen.

Uebrigens das herzige Baby, welches ich für mich ausgelesen habe, ist auch ein Knabe gewesen! Er gehörte später zu meinem engsten Freundeskreis!

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