Auch kleinere Kinder …

können Brückenbauer sein…

Als ich etwas sechs Jahre alt war, wurde in unserem Dorf, der erste Migrosladen eröffnet. Viele empörten sich darüber und verfluchten diese Genossenschaftsbrüder! Besonders die besser gestellten Schweizer weigerten, sich dort einzukaufen: „Solche Läden sind gut genug für die „Tschinggen und die Anderen“. WIR haben darauf nicht gewartet. Zum ersten Mal hörten wir Kinder Wörter wie „Tschinggen“, „Schmarotzer“, „Tagediebe“ usw. Von Situation verunsichert erklärte meine Mutter deshalb Roberto: „Du darfst nie einem Fremden oder sonst irgendwo ausplaudern, dass du ein italienisches Kind bist. Sonst wirst du gehänselt. Und du Vreneli erzählst niemandem ausserhalb vom Quartier, oder irgendwem davon, dass du eine italienische Mutter hast. Roberto und ich verstanden die Aufregung unserer Eltern überhaupt nicht. Denn die Kinder oder Erwachsenen in unserem Umfeld hatten einander nie ausgelacht oder verunglimpft, egal wie sie ausgesehen haben. Mein Vater sagte bei manchen diversen Anlässen sogar ganz zärltlich zu mir: „Ach du liebs Tschinggeli …!“ – oder – „Mis Tschinggeli! Bisch wieder e fertigs Babeli…!“

Wieder einmal hat meine Mutter Roberto und mich beauftragt, für sie paar kleinere Sachen einzukaufen. Wie immer sind wir dafür entweder ins Gemüselädeli, in die Käserei oder in den Konsum geschickt worden. Roberto und ich wären jeweils viel lieber in der näher gelegenen Migros einkaufen gegangen. Doch dahin durften wir nicht, weil auch unsere Eltern da nicht einkauften – basta! Befehl ist Befehl! Roberto und ich wundern und ärgern uns immer wieder über dieses Verbot, so auch heute. Unterwegs treffen wir unsere Freundin Piroschka (aus Ungarn). Wir fragen sie, ob sie auch in den Konsum mitkomme wolle. Das sei ihr aber viel zu weit weg. Wir sollen doch mit ihr zum Migros gehen, den kenne sie ganz gut. Wir erklären ihr, dass wir das nicht dürfen. Doch Piroschka schlägt uns vor, wir sollen einfach mit ihr hingehen. Sie werde der Verkäuferin unseren Zettel abgeben … Dann würden wir unsere Sachen eben so schnell wie im Konsum bekommen. Dieser Vorschlag passt uns sehr gut und auf gehts in die berühmt berüchtigte Migros:

Dort angekommen laufen wir etwas geduckt hinter Piroschka in den Laden. Diese übergibt an der Kasse „unseren Zettel“. Die Verkäuferin guckt etwas komisch auf das Geschriebene und sagt dann zu Piroschka. „Du, das ist aber nicht die Schrift deiner Mutter?“ – „Nein, nein, Frau! Schreiben von Vreneli!“ Die Verkäuferin zuckt mit der Schulter und kommt mit den Sachen zur Kasse, rechnet alles zu sammen und sagt: „Piroschka, das kostet vier Franken und fünfzig Rappen!“ Diese schaut mich an und mahnt mich der Verkäuferin das Geld zu geben: „Wieso Geld, im Konsum müssen wir keines abgeben!“ „Ja das gibt’s doch nicht! Solche seid ihr!“ Roberto erklärt der verärgerten Verkäuferin, dass wir tatsächlich nie Geld benötigen, wenn wir im Laden etwas abholen müssen. Es werde dort einfach alles in ein Buch eingetragen …“. Bei der Verkäuferin fällt der Groschen: „Dann geht jetzt aber schnell! Hopp mit euch zum Konsum! Doch halt, es ist ja bereits zwölf Uhr, da haben die schon zu! Sagt mal Kinder, wie heissen eure Eltern. Ihr dürft diese Ware nach Hause nehmen und eure Eltern können uns das Geld am Nachmittag bringen!“ Ich beginne zu weinen, ich dürfe nicht sagen, wer meine Eltern sind. Auch Roberto bestätigt er dürfe nichts sagen!“ In der Zwischenzeit kommt die Filialleiterin! Sie guckt uns drei mit riesengrossen Augen an: „Ja, Vreneli, es geschehen noch Zeiten und Wunder… Du bei uns im Migros!“ Die Verkäuferin erklärt ihrer Chefin den Sachverhalt. Jetzt lacht die Filialleitern sich fast in die Hosen: „He Fränzi, du musst wissen, das ist die Tochter vom Herr Dingsda, überlass der Kleinen die gewünschten Sachen. Aber leg noch die Verkaufsabrechnung dazu! Das bringe ich schon in Ordnung!“ Hocherfreut und erleichtert nehme ich das Migropaket in Empfang und zu Dritt laufen wir frohgemut und hüpfend nach Hause.

Meine Mutter erwartet uns schon ganz nervös, weils sie die Sachen dringend zum Kochen benötigt. Schon beim Anblick des Pakets ruft sie aus: „Jetzt sag Vrenli, was soll das!“ Roberto antwortet für mich, dass Piroschka uns geholfen habe einzukaufen. Sie habe dort den Zettel abgegeben und wir hätten dafür dieses Paket bekommen und ich füge an: „Aber Mami, dort hat es kein Buch…, du sollst der Frau das Geld heute Nachmittag bringen!“ – „Nein, sagt mal! Ihr seid ja nicht bei Trost! Wissen die überhaupt wer du bist?!“ „Ja, natürlich! Aber Roberto und ich haben nichts gesagt, ganz sicher nicht! Die eine Frau hat einfach gesagt, sie kenne Papi und es komme schon alles in Ordnung!“ „Nein, das darf nicht wahr sein. Erzählt Papi ja nichts davon, und wir sprechen später darüber!“ Wir führen Piroschka noch auf die Strasse zurück warten dort bis mein Vater zum Essen nach Hause kommt.

Schon bald sitzen wir alle am Tisch, auch Roberto. Der Vater fragt nach dem Senf. Meine Mutter erklärt ihm, dass sie keinen mehr habe. Roberto und ich gucken einander an und: „Doch Mami, hast du vergessen, wir haben den mit den Boverli nach Hause gebracht!“ Mein Vater schaut zur Decke, dann kitzelt er meinen kleinen Bruder und fragt uns meine Mutter: „Ja sag mal, wo ist denn jetzt der Senf!“ – „Ich weiss auch nicht so recht, irgendwo verlegt!“ – „Ist nicht dein Tag, die Boverli scheinen mir auch irgendwie anders…“. Roberto und ich kichern und mein Vater lacht aus vollem Halse. „He, Theresli, meinst du ich habe nicht gesehen, woher die Kinder gekommen sind und erst noch ein Migropaket heimgetragen haben?“ – „Ja, gut, wenn du sie gesehen hast… Sicher haben das die anderen auch gesehen und alle denken WIR kaufen in der Migros ein!“ Unsere Mutter ereifert sich immer mehr: „Schau Theresli, Erna ist dort die Filialleitern – die muss auch sehen, wie sie ihr Geld verdient. Hin und wieder mal in die Migros zu gehen ist doch nicht so schlimm! Heute bringen ‚Vreneli und der Robero das Geld der Erna …“ – „Jaaa sag Fridolin, du meinst, ich soll auch mal zur Migros gehen?“ – „Ja warum nicht, günstiger einzukaufen hat noch niemandem geschadet!“ Von da an durften wir öfters im Migro einkaufen! Doch jedesmal betonte unsere Mutter:

„Aber nur heute, ausnahmsweise!“

Somit haben wir Kinder unseren Erwachsenen vorgemacht,

dass man mutig und trotzdem wachsam Neues entdecken kann

und Vieles davon

gar nicht so schlimm ist, wie es aussieht.

Denn:

Wünsche sind die beachtlichsten Brückenbauer und die mutigsten Begeher!

Elfriede Hablé

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