… retten Kaninchen!
Das Leben ist schön! Ich verbrachte meine Kindheit auf dem Land in einem kleinen Bergdorf. Anfangs, noch klein, unerfahren und naiv wohnte ich geborgen und brav umsorgt mit meinen Eltern und meinem Bruder in einem Dreifamilienhaus. Alle riefen mich damals Vreneli und nicht Mutti, wie heute landauf und landab gerufen werde.
Unser Dreifamilienhaus grenzte an eine Fabrik, wo mein Vater arbeitete. Ausserdem rauschte da noch ein Dorfbach geradewegs in „Vaters Fabrik“, sowie in die Schreinerei der Familien Schlüttli. Um die Ecke steht der Bauernhof von Frau Kuriger, mit vielen Obstbäumen anderem Grünzeug und Viechern. Ausserdem floss etwas weiter weg ein gefährlichen Bergfluss fürs EKZ. Nich weit dahinter stand ein Wald mit Kuckuck’sen und anderen Vögel und Getieren.
Mit uns, resp. neben uns wohnte noch die kinderreiche Familie Immerfroh. Unter unserer Wohnung logierte, die Eltern und Nona mit meinem Roberto. Der war gleich alt wie ich, und ich folgte ihm auf Schritt und Tritt, manchmal auch nicht gerade ungefährliche Abenteuer…
Wieder einmal, es war Sonntag, mussten Roberto und ich den Mittagsschlaf zelebrieren. Roberto durfte diesen meistens in meinem Zimmer, in einem eigens dafür gebastelten Gästebett, abhalten. Dies wurde so vereinbart, damit die Grossen uns besser unter Kontrolle hatten (denn die Eltern von Roberto und meine Eltern verbrachten jeweils die Sonntagnachmittage entweder gemeinsam in unserem Garten oder in unserem Wohnzimmer, je nach Saison, Wetterlage oder sonstigem Besuch).
An dem besagten Sonntag, war die Wetterlage besonders gut. Meine Eltern trafen sich für eine Schwatz mit Roberto’s Eltern. Wir lagen gar nicht lange still im Bett und fingen an zu singen – immer lauter. Niemand ruft: „Ruhe!“ Das war ein gutes Zeichen. In diesem Fall hockten alle im Garten und nicht in unserer guten Stube. Roberto und ich schauten einander kurz an, und für uns war es klar, wir büchsen aus! Schnell in die Hosen, resp. Rock, aus dem Zimmer, den Gang entlang, die Treppe runter in Roberto’s Wohnung (die Wohnungen waren damals noch nicht abgeschlossen), dort in seinem Zimmer, Fenster auf und raus (Erdgeschoss)! Ha, geschafft. Wir guckten uns triumphierend an und rannten hinter’s Nachbarhaus zum Sandkasten. Wir schaufelten etwas lustlos im trockenen Sand . Roberto schickte mich, im nahen Brunnen, viel Wasser holen, damit man besser Pflästern konnte.
Wie ich da zwischen Brunnen und Sandhaufen hin und her hastete fiel mir auf, dass das Kaninchenhaus von Frau Kuriger mit Websäcken behangen war. „Du Röbi schau mal, die Kaninchen ersticken, die haben keine Luft. So braune dicke Säcke hangen an ihren Türen!“ Roberto juckte aus seiner Sändelipose, schüttelt den Sand von den Händen und schon hatte auch er die dicken Säcke entdeckt. „So blöd! Wirklich diese Kuriger’s, lassen ihre Viecher einfach ersticken!“ Wir beide zupften an einem Sack und der dahinter hockende Chüngel hüpfte aufgeregt hin und her. „Siehst Du!“, triumphierte Roberto, „der hat aber Freude!“ Ritsch, ratsch, wir rissen den Sack vollends weg und auch die anderen lagen schnell am Boden. Wir freuten uns über die überglücklichen Kaninchen, die hin und her hopsten auf und ab juckten, am Gitter kratzten und sich einfach etwas wilder als normal gebärdeten. Wir hatten das Gefühl, diese Kaninchen sind seeliger als seelig. Roberto und ich reichten Ihnen durch das Gitterloch etwas Löwenzahn. „Schau’ die sind ja am verhungern!“, rief ich. Roberto schlug deshalb vor, man könnte doch die Viecher einfach aus dem Stall raus lassen, dann könnten sie sich ihr Futter selber auslesen. Dieser Vorschlag fand ich genial. Wir schoben die Riegel vom untersten Stallabteil zurück. Wutsch, der schöne braune Chüngel war draussen. Erst verzagt guckte er um sich, knabberte etwas Gras und hopste wie verrückt im Kreis herum. Wir hinter ihm her… Der drollige Vierbeiner kam richtig in Fahrt. Er raste im Zickzack über die Wiese und… „Nein, du dummes Viech, nicht zum Bach!“, unser Geschrei macht ihm keinen Eindruck. Der eilige und wackere „Lampiohr-Geselle“ schlüpfte unter dem hohen Drahtzaun durch und ein kurzes Platsch. Das Kaninchen war auf Nimmerwiedersehen verschwunden, resp. abgetaucht. Wir schauen uns ratlos an. Roberto schalt mich: „Heul nur nicht los! Wir schliessen das Törchen wieder, dann merkt niemand was, und wir schleichen uns in unsere Betten zurück.“ Gesagt getan. Wir waren noch selten so schnell und so lautlos wieder bei uns zu Hause, durch’s Fenster, die Treppe rauf in unsere Wohnung und in mein Zimmer gelaufen. Hier verhielten wir uns ganz ruhig, schlossen die Augen und schliefen tatsächlich ein. Die Sache war ja, nochmals glimpflich abgelaufen – für diesen Sonntag.
Am nächsten Sonntag, wurden wir wieder zeitig für den Mittagsschlaf in mein Zimmer verfrachtet, damit wir wieder so brav einschliefen, wie letzten Sonntag… Mit dem Einnicken war es wieder so eine Sache. Wir dösten etwas… „Heh, die Sonne scheint, die Kaninchen haben es sicher wieder zu heiss unter den Decken… !„ flüsterte Robero. Ich war gleicher Meinung, und so schlichen wir wieder aus dem Zimmer, durch den Gang, die Treppe runter in Robertos Wohnung, in sein Zimmer und aus dem Fenster. Bei den Kaninchen fackelten wir nicht lange. Die Säcke rupften wir entschlossen runter. Doch diesmal beschlossen wir, überlegter Vorzugehen und die kleinen Vierbeiner mit Löwenzahn zu versorgen, ohne dass sie ungewollt auf die Wiese hüpften. Mein Büschel Löwenzahn war schnell beisammen. Erstes Türchen auf, und schon knabberte das herzige Kaninchen daran. Auch Roberto öffnete ein Türchen, und schon ist sein Chüngel liebevoll mit Qualitätfutter versorgt worden. Ich bückte mich, um einen weiteren Büschel Löwenzahn zu sammeln. Da – oh Schreck, schwupp, das Kaninchen hüpfte über meinen Kopf in die Freiheit. Roberto, wollte ihn schnell einfangen. Dabei entwischte ihm sein hungriger Geselle. So hopsten auf einmal zwei lebenstolle Kaninchen auf der Wiese rum. Zum Einfangen lustig, aber enorm schwierig. Je mehr, wir versuchten die tollen Vierbeiner zu erhaschen, umso schneller rannten sie im Zick – Zack umher. Ein Lampiohr entwich über die Strasse in Nachbars Garten, der andere suchte seine Freiheit im Bach. Wieder ein kurzes Plopp und im Verschwindibus entschwand ein weiteres Kaninchen im todsicheren Nass. Wir zwei Sonntagsschläfer brauchten gar nicht lange zu studieren, was jetzt zu machen sei. Auf jeden Fall lagen wir, nur Sekunden später, wieder ganz brav zugedeckt in unseren Betten…
Am anderen Sonntag regnete es in Strömen. Wiederum wurden wir gemeinsam in unsere Betten abkommandiert. Durch das Sauwetter war es im Zimmer etwas dunkel. Doch der Schlaf wollte trotzdem nicht über uns kommen. Wir hörten die Türglocke läuten. Meine Eltern bekamen Besuch, von einem nahen Verwandten. Robertos Eltern verzogen sich in ihre Wohnung; und da wir Kinder uns schlafend stellten, durfte Roberto bei mir bleiben. Erst spielten wir etwas mit meinen Puppensachen. Diese interessierten meinen Roberto überhaupt nicht. Er öffnete sachte die Zimmertür und winkte mir, ihm zu folgen. Wir schlichen zum Wohnzimmer, die Türe war zu und das emsige Gemurmel meiner Eltern mit dem Besuch, versprach uns wiederum einen vergnüglichen Sonntag.
Schon wollten wir uns auf den Esterich schleichen (das war das eigentliche Spielzimmer für meinen Bruder, Roberto und mich), da hörten wir etwas von: „Ja, da müsstet ihr die Polizei informieren – das geht doch so nicht!“ Wir drückten die Ohren an die Wohnzimmertüre. Das tönte ja spannend. Dann hörte ich meine Mutter sagen: „Wenigstens hatten die Kurigers noch eine Chüngel retten können, dank dem er in Rüegg’s Garten gelaufen ist.“ „Ja, Ja“, brummelt mein Vater: „Jah nun, ist das halt passiert, der Kuriger soll die Ställe besser abschliesen!“ Der Besucher meinte, der per Zufall Polizist in einer anderen Gemeinde ist: „ Schon gut Fridolin! Das geht trotzdem nicht. Man muss der Sache nachgehen. Ich sehe morgen den Schmid (unser Dorfpolizist), und ich werde ihm davon erzählen und schauen, dass er ein Protokoll erstellt. Der Kuriger soll dann auf den Posten gehen, dann muss er nur noch den Fackel unterschreiben. Der Schmid erwischt dann den Uebeltäter schon…!“ „Wahrscheinlich war das wieder einer von den „Tschinggen“, sinnierte mein Vater. Meine Mutter hebt die Stimme: „Fridolin, pass auf was du sagst, du hast so ein Tschinggli geheiratet!“ Uns Lauscher verschlugt es den Atem. Ich riss Maul und Ohren auf. Hielt die Hand vor den Mund und auch Roberto sah gar nicht mehr so lebensfroh aus. Wir zwei, so schnell und so leise es eben ging, schlichen uns wieder in unsere Betten. Ich weinte. Roberto tröstete mich. „Ach der Tschugger Schmid ist doch ein Lahmer…!“ Nur schwach getröstet, weinte ich mich in den Schlaf.
Auf jeden Fall, als ich aufwachte, sass meine Mutter an meinem Bett und fragte mich ob ich wirklich Kopfschmerzen hätte. Roberto hätte sie geholt und ihr gesagt, dass ich im Schlaf gstöhnt hätte und ganz sicher nicht mehr richtig im Kopf sei. Ich heulte los und schluchzte: „Ich will nicht ins Gefängnis! Das war gar nicht meine Idee!“ „Oh jeh, mein Vreneli!“, rief meine Mutter: „ Du hast ja Fieber und wilde Träume!“ Schon steckte ein Fiebermesser im meinem Mund. Nach zehn Minuten stellte meine Mutter fest, dass ich nur erhöhte Temperatur hätte und somit alles gar nicht so schlimm sei. Doch ich beharrte darauf, nicht ins Gefängnis zu wollen. Da lachte mein Vater schallend und rief: „Wegen etwas Temperatur im Kopf, kommt man nicht ins Gefängnis und Träume sind Schäume! Sei keine Zimperliese und komm, es gibt einen feinen Z’Vieri! Iss etwas, dann geht es dir wieder besser!“ Ihr könnt mir glauben, das Stück Schokoladekuchen hatte ich nicht angerührt und auch die folgenden Tage hatte ich mich sehr unwohl und etwas zitterig gefühlt. Kurz und gut, Roberto hatte Recht, der Schmid war wirklich ein lahmer Tschugger, denn man hatte den Kaninchenmörder nie gefunden, auch bei den Tschinggen nicht, wie wir später von meinem Vater erfuhren.
Ausserdem war der Polizist, nur auf verwandtschaftlich-kollegialer Basis bei uns auf Besuch. Mein Vater erzählte ihm die Geschichte einfach so… Roberto und ich beichteten unsere Sonntagsausflüge erst unseren Eltern, als wir selber erwachsen und Kinder hatten.
Tiere und kleine Kinder sind der Spiegel der Natur!
Epikur von Samos
Bilder: tierheim-kronach.de
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